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Update: Neues zum Recht auf Löschung gegen Google

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Wie erwartet konkretisiert der Bundesgerichtshof (BGH) mit seinen Entscheidungen vom 27. Juli 2020 in einem Fall die Anforderungen an das sogenannte Recht auf Vergessenwerden nach Art. 17 DSGVO und ermöglicht in dem anderen Fall eine diesbezüglich unionsweit einheitliche Anwendung durch die Vorlage zweier Fragen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der Beitrag analysiert beide Entscheidungen und ordnet sie aus Rechtsanwendersicht ein.

Kein absolutes Recht auf Vergessenwerden

Mit dem Recht auf Löschung räumt der europäische Gesetzgeber in Art. 17 DSGVO u.a. jedem Betroffenen einen Anspruch gegen Suchmaschinenbetreiber auf Auslistung von ihn betreffenden Berichterstattungen im Internet ein. Dieser Anspruch besteht jedoch nicht uneingeschränkt. In Art. 17 Abs. 3 DSGVO ist geregelt, dass auch das Recht auf freie Meinungsäußerung und Information zu berücksichtigen ist. Dass die danach erforderliche Abwägung der sich widerstreitenden Interessen auch zu Ungunsten des Betroffenen ausgehen kann, musste der Kläger in der Entscheidung des 6. Zivilsenats VI ZR 405/18 erfahren.

Der Kläger begehrte – wie berichtet – vom Suchmaschinenanbieter Google, es zu unterlassen, bei einer Suche nach seinem Namen auf bestimmte Berichterstattungen in der Ergebnisliste zu verweisen. In diesen Berichterstattungen wird der Leser über eine Krankmeldung des Klägers informiert, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Bekanntgabe finanzieller Schwierigkeiten des vom Kläger zum damaligen Zeitpunkt geführten Regionalverbandes einer Wohlfahrtsorganisation stand. Weder die Klage beim LG Frankfurt noch die eingelegte Berufung beim OLG Frankfurt (zur Entscheidungsbesprechung s. hier) waren erfolgreich.

Persönlichkeitsrechte auf gleicher Stufe mit Meinungs- und Informationsfreiheit

Im Ergebnis bestätigte der BGH die Entscheidung des OLG Frankfurt. Die Revision des Klägers wies er zurück. Dazu führt er zunächst aus, dass der Auslistungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO eine umfassende Grundrechtsabwägung erfordert. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls seien auf der einen Seite die Grundrechte des Klägers, in die die Verlinkungen eingreifen (hier: Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten), mit den Grundrechten des Suchmaschinenanbieters (Recht auf unternehmerische Freiheit), der Suchmaschinennutzer und der Öffentlichkeit sowie der Grundrechte der Anbieter der Berichterstattungen (Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit) auf der anderen Seite abzuwägen. Bei dieser Abwägung habe der Schutz der Grundrechte des Betroffenen keinen grundsätzlichen Vorrang. Vielmehr müssten die sich gegenüberstehenden Grundrechte gleichberechtigt miteinander abgewogen werden.

Interessen des Betroffenen müssen im Einzelfall zurückstehen

Für den BGH überwogen hier die Interessen von Google, der Suchmaschinennutzer, der Öffentlichkeit und der Inhalteanbieter. Dabei berücksichtigte das Gericht besonders, dass die Berichterstattung aus Sicht der Inhalteanbieter weiterhin rechtmäßig war.

Die Begründung des BGH überrascht nicht. Schon das Bundesverfassungsgericht entschied jüngst (Beschluss vom 6. November 2019 – 1 BvR 276/17 – Recht auf Vergessenwerden II), dass in der Abwägung der sich widerstreitenden Interessen den Persönlichkeitsrechten des Auslistungsersuchenden kein Vorrang einzuräumen ist. Mit der Einbindung der Interessen der Nutzer, der Öffentlichkeit und der Anbieter der Inhalte beschränkt sich das Gericht nicht auf eine zweidimensionale Betrachtungsweise und wirft auch jene Interessen in die Waagschale, die vom Ausgang des Streits ebenfalls betroffen sind. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, inwiefern eine solche gleichberechtigte Einzelfallabwägung zu mehr Rechtssicherheit in ähnlich gelagerten Fällen führen wird.

BGH nimmt dogmatische Klarstellung vor und verabschiedet sich von seiner bisherigen Rechtsprechung zur mittelbaren Störerhaftung von Suchmaschinenbetreibern

Aus Sicht des Rechtsanwenders ist das Urteil aus zwei anderen Gründen zu begrüßen.

Zum einen stellt der BGH klar, dass das Auslistungsbegehren in solchen Fällen nur auf Art. 17 Abs. 1 DSGVO gestützt werden kann. Wie bereits in unserem letzten Blogbeitrag ausgeführt, folgt dies aus dem Anwendungsvorrang der DSGVO. Den Überlegungen der Vorinstanz zur Möglichkeit eines neben dem Anspruch aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO stehenden Anspruchs aus nationalem Recht erteilt der BGH somit zu Recht eine Absage.

Zum anderen stellt der BGH klar, dass Suchmaschinenbetreiber nicht erst dann tätig werden müssen, wenn sie von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung des Betroffenen Kenntnis erlangt haben. Dies folge aus der gleichberechtigten Abwägung aller Interessen. Damit kehrt der BGH ausdrücklich von seiner vorherigen Rechtsprechung zur Anwendung der Grundsätze der mittelbaren Störerhaftung auf Suchmaschinenbetreiber ab. Dies ist konsequent und zu begrüßen.

Welche Rolle spielt der Wahrheitsgehalt der verlinkten Berichterstattung?

Dem zweiten zu entscheidenden Fall (VI ZR 476/18) liegt ein zunächst vergleichbarer Sachverhalt zugrunde, jedoch mit dem wesentlichen Unterschied, dass zwischen den Klägern und Google streitig ist, ob die verlinkten Inhalte der Wahrheit entsprechen. Ein in der Finanzdienstleistungsbranche tätiges Ehepaar hatte gegen Google auf Auslistung von in der Trefferliste verlinkten Artikeln geklagt.

Die verlinkten Artikel setzten sich kritisch mit dem Anlagemodell einzelner Gesellschaften auseinander, für die die Kläger in verantwortlicher Position tätig und teilweise sogar an ihnen beteiligt waren. In einem dieser Artikel verwendete die Betreiberin der Website neben der Berichterstattung Fotos der Kläger, die in Googles Trefferliste als Vorschaubild (sog. Thumbnails) angezeigt werden. Die Kläger berufen sich darauf, dass der als Berichterstattung verlinkte Inhalt nicht der Wahrheit entspricht, während Google einwendet, den Wahrheitsgehalt der Artikel nicht überprüfen zu können.

BGH legt EuGH zwei Fragen zur Klärung vor

Der BGH hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH zur Klärung zwei Fragen vorgelegt. Erstens soll der EuGH klären, ob bei der vorzunehmenden Interessenabwägung im Rahmen eines Auslistungsersuchen gemäß Artikel 17 Abs. 3 a) DSGVO zu berücksichtigen ist, dass der Auslistungsersuchende die Wahrheitsgemäßheit des verlinkten Inhalts vorab – bspw. durch eine einstweilige Verfügung gegen den Inhalteanbieter – überprüfen lassen kann.

Zweitens fragt der BGH, ob bei einem Auslistungsbegehren gegen Vorschaubilder der Kontext der ursprünglichen Veröffentlichung des Inhalteanbieters zu berücksichtigen ist. Auf diesen wird bei dem Vorschaubild zwar verlinkt, der konkrete Kontext ist aber nicht ersichtlich.

Umstände des Einzelfalls bei der Abwägung zwingend zu berücksichtigen

Die Vorlage des BGH zeigt, dass es für die Beurteilung des jeweiligen Löschungsverlangens einer umfassenden Abwägung bedarf, bei der die Umstände des Einzelfalls zwingend zu berücksichtigen sind. Dass damit weiterhin Klärungsbedarf hinsichtlich der Anforderungen für ein Auslistungsbegehren besteht, liegt auf der Hand. Im digitalen Zeitalter ist mit einer Vielzahl weiterer höchstrichterlicher Entscheidungen zum Recht auf zu rechnen.

Dies verdeutlicht auch der ebenfalls im Juli ergangene Beschluss des BVerfG (Beschl. v. 7. Juli 2020 – 1 BvR 146/17) zum Abwägungskriterium „Zeit″. Danach muss eine zulässige Verdachtsberichterstattung in einem Online-Archiv nur in Ausnahmefällen nachträglich gelöscht oder verändert werden. Dass es sich dabei um eine langjährige Archivierung handelt, ändert daran nichts, solange die Sachlage sich zwischenzeitlich nicht deutlich verändert hat.

Es besteht die Hoffnung, dass die Vorlage an den EuGH dazu beitragen wird, dass Betroffene in Zukunft anhand festgelegter Kriterien sicherer beurteilen können, wann Erfolg für ein Auslistungsersuchen gegen Suchmaschinenbetreiber besteht.

Der Beitrag Update: Neues zum Recht auf Löschung gegen Google erschien zuerst auf CMS Blog.


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